Besuch des vom Gewalt-Hotspots zur innovativen Metropole transformierten Medellíns

Piedra del Peñol

Nach Bogotá fahren wir nordwestlich Richtung Medellín. Aus den geplanten 8 Stunden Fahrt werden schnell über 12: Wir nehmen kleinere Strassen übers Land und kurz vor dem Ziel Guatapé (wir sehen schon das Merkmal – den riesigen Fels von Guatapé) landen wir vor einer gesperrten Strasse. Beim mehrstündigen Umweg begegnen wir noch weiteren Strassensperrungen aufgrund von Baustellen, die wir mit riesigen Umwegen umfahren müssen. Wenigstens sind die kleineren Strassen auf dem Land schöner als die Autobahn. In den grünen Bergen fühlen wir uns weiterhin wie in der Schweiz – am Strassenrand wird von kleinen Ständen sogar überall Meringue mit Rahm / Sahne (und Erdbeeren) verkauft. Aber ja die Distanzen sind in Südamerika anders: Kolumbien ist doppelt so gross wie alle 7 zentralamerikanischen Länder zusammen – d.h. wir sind hier jeweils länger am fahren als zuvor.
Irgendwann schaffen wir es endlich und kommen an unserem Ziel an, dem Piedra del Guatapé/Peñol. Es handelt sich um ein 220 Meter hoher Monolith, den wir mit rund 650 steilen Stufen erklimmen können. Ziemlich anstrengend, aber die Aussicht auf den anliegenden, an den Vierwaldstättersee erinnernden Embalse del Peñol-See mit den vielen kleinen Inseln ist es wert.

Medellín

Danach geht es für uns nach Medellín. Wir parken den Land Cruiser auf einem Campingplatz in den Bergen, die Medellín umgeben und nehmen dann Bus und Seilbahn, mit der wir direkt in der Stadt landen. Eine interessante Seilbahnfahrt, fahren wir doch direkt über sehr einfache Viertel Medellíns, wo Häuser noch aus verschiedenen Wellblechplatten zusammengebastelt sind. Ansonsten ist die ganze Stadt hauptsächlich aus Backstein, was ihr ein einzigartiges Aussehen beschert.
In der zweitgrössten Stadt des Landes mit ca. 2.6 Millionen Einwohnern bleiben wir ein paar Tage im Hotel. Medellín ist eine spannende Stadt mit schrecklicher Geschichte. Während sie von der Washington Post einst zur gefährlichsten Stadt der Welt erklärt wurde, hat das Wall Street Journal Medellín vor ein paar Jahren zur innovativsten Stadt gekürt. Auf rund 400 Morde auf 100000 Einwohner kam Medellin anfangs der 90er. Inzwischen ist die Stadt unter anderem auch dank der Netflix-Serie Narcos, welche Medellíns Geschichte mit Drogenbaron und Terroristen Pablo Escobar aufrollt, bei Touristen eine äusserst beliebte Destination. Pablo Escobar, der wohl berüchtigtste Drogenboss aller Zeiten verbreitete Angst und Schrecken bis er 1993 von einer US-Kolumbianischen Spezialeinheit ermordet wurde. Er ermordete Politiker, Polizisten, Richter, von ihm entführte reiche Zivilisten und seine Gegner und sprengte sogar ein Linienflug mit 110 Passagieren in die Luft. Viele Einwohner Medellíns sind jetzt noch geprägt und traumatisiert von dieser Zeit und sehen den Hype um Escobar deswegen gar nicht gerne.
Inzwischen ist Medellín aber hip, einigermassen sicher und florierend. Im Stadtzentrum bewundern wir die Kolonialbauten oder die Statuen des vielleicht berühmtesten Künstlers Kolumbiens/Medellíns Fernando Boteros, der mit seinen Gemälden und Bildhauerei von pummligen Figuren berühmt wurde. Im Poblado Viertel haben wir die Auswahl aus internationalen Restaurants und originellen Rooftop Bars. Hier werden wir auch in die Luxuswohnung im 20. Stockwerk zu einem Texaner und seiner kolumbianischen Frau eingeladen. Wir sind in Kontakt gekommen weil sie ebenfalls einen Toyota Land Cruiser besitzen und gerade von einem halbjährigen Südamerika-Trip zurück nach Medellín, ihrem Zuhause gekommen sind. Sie geben uns viele Tipps mit auf den Weg und die Vorfreude das restliche Südamerika zu erkunden steigt.
Auch wenn Medellín mittlerweile vergleichbar ist mit vielen Metropolen, finden sich überall Spuren der Vergangenheit. Im Casa de la Memoria werden Opfern und deren Angehörigen der damaligen Konflikte eine Stimme gegeben. Die 1995 bei einem Bombenanschlag mit 20 Toten zerstörte Vogelstatue von Botero steht immer noch im Parque San Antonio neben einer neuen von Botero angefertigten Vogelstatue. Die beiden heissen nun Vögel des Friedens. Und dann ist da die Comuna 13 mit dem Graffiti und den vielen Murals (Wandmalereien).

Comuna 13 – vom Horrorviertel zur Erfolgsgeschichte

Wir machen eine Tour durch die Comuna 13 mit – ein Vorzeigebeispiel wie aus einem gewalttätigen Viertel, in welchem vor 20 Jahren noch kein Nichtbewohner reinkam ein friedliches, hippes Quartier wurde.
In den 90ern galt es noch als das gefährlichste Viertel der gefährlichsten Stadt in Lateinamerika. Medellín, in der Mitte des Landes gelegen, war strategisch ein guter Knotenpunkt für alle möglichen Geschäfte inklusive Waffen- und Drogenhandel. Die Comuna 13, als Vorort im Nordwesten gelegen, war dabei der Zugang zur Dariengap und damit zur Landschmuggelroute nach Nordamerika. Die Guerillagruppen FARC und ELN liessen sich in dem damalig illegalen Viertel nieder, verlangten Zoll von den Kartellen und Banden, die den Comuna 13-Zugang zu Darién nutzten und führten blutige Kämpfe um das Gebiet. Zusätzlich liessen sich paramilitärische Gruppierungen nieder, die ebenfalls ums Territorium kämpften. Es war ein Teufelskreis, eine Spirale der Gewalt mit täglichen Morden auch an Zivilisten. Die Comuna 13 war ein Schlachtfeld, ein rechtsfreier Raum, ohne Wasser- und Stromleitungen und Polizei, da die Stadtregierung nichts mit dem Viertel zu tun haben wollte. Für die Kinder der Comuna 13 war es lebensgefährlich in die Schule zu gehen, worauf vielen nichts anderes übrig blieb, als sich den Banden anzuschliessen.
Erst 2002 gab es dann mit dem neuen Präsidenten Alvaro Uribe mehrere Militäroperationen im Gebiet, um es von der Herrschaft der FARC und ELN zu befreien. Bei diesen Säuberungen wurde das Militär von den Paramilitärs unterstützt, welchen es natürlich gelegen kam, wenn sie die Gebiete der Comuna 13 nicht mehr mit den Rebellen teilen mussten. Aufgrund der teils falschen oder vagen Angaben der Paramilitärs kamen so bei den Militäroperationen auch wieder viele Zivilisten ums Leben. Bei der letzten Operation wurde teils gar von Helikoptern auf Häuser geschossen, da bot das Aluminium Wellblech kein Schutz. Danach war die Comuna 13 zwar von den Guerillas befreit, aber unter Herrschaft der Paramilitärs, die noch zwei Jahre lang in Selbstjustiz Menschen verschwinden liessen, die sie im Verdacht hatten, ehemalig etwas mit den Rebellen zu tun gehabt zu haben. Unsere Führerin zeigt uns den Berg neben der Comuna 13, eine Bauschuttdeponie, wo die Paramilitärs wohl Hunderte dieser Verschwundenen zu dieser Zeit begruben.
Erst immense Investitionen der Regierung ab 2006 brachten Besserung im Quartier, welches inzwischen von vielen kleineren Gangs beherrscht wurde. Insbesondere die Erschliessung des Viertels an Medellín mittels Metro, Seilbahn und einem knapp 400 Meter langem Netzwerk an Freiluft-Rolltreppen haben die Perspektive verbessert. Für das Viertel am steilen Hang war der Zugang zum Zentrum Medellíns zuvor mit viel Mühe verbunden, mussten sie doch ohne Hilfsmittel ein Äquivalent an 28 Stockwerken bewältigen, um auf eine Ebene mit dem Zentrum zu gelangen.
Zusätzlich wurden Schulen, Bibliotheken, kostenloses Sport-, Freizeit-und Kulturangebot und Pärke errichtet, um der Jugend, die früher keine Chance abseits der Kriminalität hatte, eine Perspektive zu geben. Wenn ein Park oder eine Gegend heute gefährlich ist und für Drogenhandel o.ä. missbraucht wird, hat die Regierung ein einfaches Mittel: Kostenloses WLAN an dem entsprechenden Ort anzubieten, dann kommen genug Leute und die Kriminellen verziehen sich.
Die Führerin zeigt uns das Viertel, insbesondere die unzähligen Graffiti und Wandmalereien, mit welchen lokale Künstler die Vergangenheit verarbeiten, die Transformation der Comuna 13 aufzeigen und Hoffnung auf die Zukunft darstellen. Wir sind beeindruckt von der Kreativität und wieviel mit einem einzigem Mural teils gleichzeitig ausgesagt wird. Nach der langen Rolltreppenfahrt nach oben geniessen wir die Aussicht auf Medellín. Inzwischen gibt es hier viele Touristen, überall Stände, kleine Bars und Restaurants.
Trotzdem ist es ein langer Weg – Nachts sollte man das Gebiet verlassen haben und die Geschäfte zahlen auch heute noch Schutzgeld – die Unternehmung mit welcher wir die Tour machen seit kurzem nicht mehr. Schlussendlich haben auch die Mitglieder von solchen Banden festgestellt, dass Tourismus eine gute Einkommensquelle ist und wenden sich teils besseren Geschäften zu, zum Beispiel der Eröffnung einer Brauerei für Touristen.

Jardín und Kaffeeplantagen 

Nach unserem Stadtaufenthalt kehren wir zurück zum Land Cruiser und bleiben zwei weitere Nächte auf dem Campingplatz, der beliebt bei Overlandern ist. So können wir wieder mal Wäsche waschen, kleinere Reparaturen erledigen und Grossputz machen. Am Abend kochen wir jeweils mit den andern Overlandern, einem englischen und italienischen Pärchen, einem Kanadier und einem Deutschen.
Nach Al Bosque fahren wir weiter ins Kaffeeanbaugebiet um Jardín. Wir geniessen die idyllischen aber herausfordernden Strassen durch die grünen Kaffeeanbauberge und seine Fincas. In Jardín selbst geniessen wir die für die Provinz Antioquia bekannte Architektur mit weissen Häusern und bunten Balkonen, Fenster- und Türrahmen bevor wir uns weiter in den Süden machen.

Gefahrene Kilometer seit Reisebeginn
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