Die Amazonas-Durchquerung und ein betrunkener Guide in Guyana

So sind wir nun in Brasilien. Im 5. grössten Land der Welt sind die Distanzen ein wenig länger und so brauchen wir ein paar Tage nach Manaus. Aber hier ist für uns auch der Weg ein Ziel: Die Strasse BR-319 hat sich für uns nach einem Abenteuer angehört, welches wir uns nicht entgehen lassen wollten (und konnten, da es keine Alternativen gibt, ausser das Auto auf ein Boot zu laden). Für die BR-319 haben wir uns sogar die Seilwinde installieren lassen.

BR-319

Die BR-319 nach Manaus

Die unbefestigte Strasse durch den Amazonas ist berüchtigt für ihre Beschaffenheit aus Lehm, durch diese bei nassen Konditionen zahlreiche Autos steckenbleiben. Wir befinden uns zum Glück in der Trockenzeit, zur Regenzeit wäre die Durchfahrt kaum möglich. Wir kommen überraschend gut durch die ca. 900 Kilometer lange Strecke. Es hat viele Autos unterwegs und zum Übernachten finden wir sogar Tankstellen mit Wifi statt Wildcamps auf Dschungellichtungen. Stecken bleiben wir nicht mal annäherungsweise, nur ein Lastwagen bleibt stecken und daraufhin auch 2 Autos, die versucht haben den Lastwagen im Schlamm zu überholen. Wir können ihnen nicht mal helfen, da ein Traktor in der Nähe ist, welcher die Autos effektiver rauszieht. Der Amazonas, der grösste tropische Regenwald der Welt, ist hier fast überall traurigerweise sehr licht oder jung, vom dichten Dschungel ist nicht viel übrig. Die Strasse ist ursprünglich in den 70er Jahren vom Militär erbaut worden, wurde aber nie erneuert. Konservative Regierungen wie jene von Bolsonaro wollen sie befestigen lassen, während Umweltbehörden dagegen protestieren, da eine gute Strasse und damit besserer Zugang zum Regenwald die Abholzung noch weiter fördern würde. Traurigerweise erfahren wir später, dass eine Woche nach unserer Durchfahrt eine Brücke im besseren Abschnitt der Strasse eingebrochen ist und es mehrere Tote gegeben hat.
Vor Manaus müssen wir die Fähre nehmen um den Amazonas zu überqueren. Unglaublich wie gross der Amazonas schon hier ist – die Überfahrt dauert fast eine Stunde und es müssen nach Luftlinie gemessen ganze 10 km überwunden werden. Wir überfahren dabei das eindrückliche Phänomen Encontro das Aguás, das Treffen der Gewässer. Hier formen der dunkle Rio Negro und der hellbraune schlammige Rio Solimões den volumenmässig grössten Fluss der Welt – den Amazonas. Aufgrund der unterschiedlichen Flusstemperaturen, -geschwindigkeiten und -beschaffenheiten dauert es relativ lange bis die Flüsse eine Einheit sind und so sieht man die Grenze der Flüsse sehr deutlich (siehe Video unten). Manaus ist die Hauptstadt vom brasilianischen Bundesstaat Amazonas und Touristen-Ausgangspunkt für den gleichnamigen Fluss oder Dschungel. Manaus war Ende 19. Jahrhunderts dank des Kautschukbooms die glanzvollste Stadt Brasiliens. Kautschuk wird aus dem nativen Gummibaum gewonnen und war Ende 18. Jahrhundert in Europa wichtige Ressource für Industrie (dank der industriellen Revolution boomend) und Fahrzeugbau. Indigene Einwohner wurden als Zwangsarbeiter eingesetzt und europäische Geschäftsleute wurden mit der Kautschukproduktion und -handel in Manaus steinreich. Es wurden pompöse Gebäude gebaut und die Stadt als Paris der Tropen bekannt. Für das prunkvolle Teatro Amazonas wurde Marmor und Eisenerzeugnisse aus Europa importiert und die Holzsitze aus Amazonas-Holz in Italien gefertigt. Der Boom endete als exportierte Kautschukbaum-Samen erfolgreich in Europa und Asien gepflanzt wurden. Manaus verarmte bis die Stadt in den 50ern als Freihandelszone erklärt wurde und sich damit wirtschaftlich wieder erholte. Nach einem kurzen Spaziergang und einer weiterhin erfolglosen Simkartensuche (ohne nationale Identifikationsnummer erhalten wir hier keine Simkarte) und ebenso erfolglosen Suche nach einem Touristeninformationscenter fahren wir neben dem Rio Negro flussaufwärts weiter.

Anouk mit einem pinken Flussdelphin

Das Anavilhanas-Archipel

Der Rio Negro fliesst bei Manaus zum Amazonas und macht das grösste Schwarzwasser-Flussbett der Welt aus. Durch das Rio-Negro-Flussbett fliesst mehr Wasser als durch alle Flüsse Europas zusammen. Die rötlich-schwarze Farbe des Flusses ist der Dekomposition der Blätter und Äste der gefluteten Wälder am Rio Negro zu verdanken. An einem Strand (ja, am Amazonas gibt es Strände) machen wir eine kurze Pause und fahren dann ins abgelegene Dorf Novo Airão am Amazonas/ Rio Negro. Es handelt sich um das letzte Dorf der Strasse, weiter kommt man nur noch per Boot. Auch dieses Dorf ist nicht auf Individualtourismus ausgelegt. Es ist sehr schwierig etwas zu organisieren aber schliesslich finden wir jemanden der uns für den nächsten Tag eine Bootstour anbietet. Wieder mal eine Dusche nötig fragen wir bei einer Lodge an, ob wir gegen eine Gebühr campen und Toilette/Dusche benutzen können. Solche Anfragen werden hier immer sehr kompliziert gehandhabt, aber nach ein paar Stunden hat sich der Manager für ein Ja entschieden. Wie an so viele Orten in diesem Teil Brasiliens gibt es keine Gäste und wir haben die wunderschöne Lodge für uns alleine. Am Morgen wird uns ein riesiges Frühstück zubereitet, wir fühlen uns wie im Paradies. Wir besuchen am Fluss ein fliessendes Deck für die pinken Flussdelphine. Die Organisation hier füttert die Delphine, die frei im Fluss leben und pflegt sie im Krankheitsfall. Kaum steht die Tierpflegerin auf dem Deck, kommen die Delphine auch schon angeschwommen. Wir setzten uns hin mit den Beinen ins Wasser und die Delphine kommen, stossen mit der Schnauze die Beine an. Witzige Kreaturen. Mit einer Grösse von bis zu 2.7 Metern haben die pinken Amazonasdelphine auch riesige Gehirne, die bis zu 40% mehr Kapazität haben als jene vom Menschen. Am nächsten Morgen machen wir die Bootstour zum Anavilhanas-Archipel, eines der weltweit grössten Flussarchipel. Über 400 dicht begrünte Inseln, 60 Seen und unzählige Flusskanäle umfasst das Archipel. Zur Regenzeit sieht man wie in unserem Falle die überfluteten Wälder, während zur Trockenzeit bei niedrigerem Wasserstand Strände zum Vorschein kommen. Bei der fliessenden National Park Ranger Station sehen wir Kaimane, die grösste Krokodilart des Amazonas. Wir fahren bei weiteren Flussdelphinen vorbei und werden dann zu einem indigenen Dorf gefahren. Wie so viele dieser Dörfer sind diese nur per Boot zu erreichen, die Menschen leben noch sehr traditionell und leben von der Fischerei, dem Herstellen von Holzplatten und Handwerk. Eine Frau führt uns rum, allerdings auf Portugiesisch, so dass wir kaum etwas verstehen. Wir treffen auf ein paar Tiere, die meisten aber wohl leider für die Touristen domestiziert. Dann gehts für uns zurück nach Manaus und von da an ganz in den Norden Brasiliens, nach Boa Vista in der Nähe der venezuelanischen/ guyanischen Grenze. Unterwegs überschreiten wir erneut den Äquator und befinden uns somit wieder auf der Nordhalbkugel. In Boa Vista machen wir Besorgungen, suchen ein paar Stunden lang vergeblich nach gutem Wifi (es ist manchmal kaum zu glauben, wieviel Zeit wir mit total grundlegenden Dingen verschwenden) und lassen unsere Klimaanlage für ein wenig Extrakühlung warten. In Boa Vista kommen wir gut mit Spanisch durch, da die ganze Stadt überrannt ist mit venezolanischen Flüchtlingen, die sich überwiegend sehr gut integriert haben. Es ist extrem, wie uns das tragische Thema Venezuela auf der ganzen Reise immer wieder begleitet, während wir in Europa fast nichts darüber hören. Wir übernachten auf einer Tankstelle, auf welcher wir einmal mehr die Bekanntschaft mit der brasilianischen Gastfreundlichkeit machen. Die Leute sprechen uns an und laden uns zu sich nach Hause ein, dass sei doch viel angenehmer als auf der Tankstelle zu übernachten. Andere wiederum wollen, dass wir dem lokalen Wohnmobilclub beitreten. Unglaublich wie viele herzliche Menschen wir trotz unserem minimalen Aufenthalt in der brasilianischen Zivilisation antreffen und trotz 100%-iger Sprachbarriere. Nach einem Açai-Frühstück, das sind lokale Beeren, die inzwischen weltweit als Superfood im Trend sind, fahren wir zur Grenze von Guyana.

Guyana und unser Savannenabenteuer

Auf dem Shea Rock

Guyana ist ein spezielles Land. Es ist das zweitkleinste Land Südamerikas, hat als einziges Land Südamerikas Englisch als Landessprache und es herrscht Linksverkehr. Der Übergang an der Grenze ist elegant: Man fährt rechts, dann wird die Spur auf eine Brücke geleitet und wo die Brücke mündet, ist man plötzlich auf der linken Seite. Die ehemalige britische Kolonie weist eine sehr diverse Bevölkerungsstruktur auf. Am Stärksten sind Inder, Kreolen und Afro-Guyaner vertreten, die ursprünglich als Sklaven oder Arbeiter nach Guyana kamen. Ca. 10% macht die indigene Bevölkerung (hier Amerindians genannt) aus. Dann gibt es ein paar Europäisch- und Asiatisch-Stämmige. Die Diversität spiegelt sich im leckeren Essen wieder – insbesondere der indische Einfluss ist da sehr hoch. Die Einreise funktioniert gut, aber wir müssen die Zollbehörde überreden uns eine längere Fahrgenehmigung als nur die üblichen 3 Tage zu geben. Normalerweise bekommt man nur 3 Tage und muss dann die Erlaubnis in der 600 km Dirtroad entfernten Hauptstadt Georgetown erneuern, was bedeuten würde, dass wir keine Zeit hätten den Süden des Landes zu erkunden. Dieser Prozess dauerte einen ganzen Tag aber ist immerhin erfolgreich. Wir erledigen währenddessen ein paar Dinge, essen Pepperpot, ein leckeres guyanisches Gulasch-Gericht, welches mit den Gewürzen ein wenig nach Weihnachten schmeckt. Wir finden so etwas wie eine Touristeninformation, denn eine grosse Herausforderung in Guyana ist es, herauszufinden, was man als Individualtourist ohne Millionenbudget für Touren überhaupt machen kann. Im Reiseführer und im Internet wurden wir nicht wirklich fündig. Man merkt, Touristen kommen hier selten zu Besuch und auch diese Frage nach individuellen Tätigkeiten ist hier ganz schön exotisch. Aber die Frau von der Tourismusbehörde ist zumindest sehr hilfreich, ruft ohne Widerrede zu erlauben schon den nächsten Tourguide an, ein paar Dorfhäuptlinge und ein paar Lodges. Leider liegt es für uns nicht drinnen alle diese Aktivitäten zu machen, aber sie erzählt von einem Heritage Festival, welches im selben Dorf stattfindet und so machen wir zunächst mal das. Das Heritage Festival feiert die amerindianischen Ureinwohner. Wir schlendern durchs Gelände, treffen auf ein paar Guyanesen, mit welchen wir fortan den Abend verbringen und die uns viel über Guyana erzählen beim Genuss verschiedener selbstgebrauter Weine. Insbesondere der Ananaswein war sehr lecker, aber es gab auch Maniok-Wein oder Getreide-Wein. Es ist wirklich eine komplett eigene, sehr abgeschiedene Welt hier. In ihren Augen haben sie sehr viele Touristen und dass bei uns kaum jemand Guyana kennt, können sie nicht glauben. Es ist schön sich wieder unterhalten zu können, da jeder Englisch spricht, aber manche haben einen solch ausgeprägten Dialekt, dass wir auch nicht viel mehr verstehen als das Portugiesisch in Brasilien. Im Rahmen der Festlichkeiten treten die verschiedenen Stämme mit Tänzen und Sketchen gegen einander an, was auch ganz unterhaltsam ist. Übernachten tun wir direkt im Auto am Festivalgelände und werden bis um 9 Uhr Morgens beschallt. Ja, hier wissen sie wie man feiert. Danach fahren wir in die Rupununi Savannah. Die Savannah, eine endlose Graslandschaft mit kleinen Flüssen und indigenen Dörfern, kleineren und grösseren Monolithen ist wirklich schön. Riesige Ameisenbären und Jaguare gibts hier auch, leider nur nicht in unserem Sichtfeld.
Gemäss Reisenden, die vor ein paar Jahren da waren, können wir hier wildcampen und in den Flüssen baden soviel wir wollen, aber wenn in der Nähe eines Dorfes, müssen wir den Chef des Dorfes, um Erlaubnis bitten. Ein Overlander-Paradies. Wir möchten auf den Shea Rock, einen grossen Monolith. Dank der Angestellten von der Tourismusinfo haben wir die Kontaktdaten des Häuptlings vom anliegenden amerindianischen Dorf. Angekommen im Dorf Shea kommt die Mutter des abwesenden Chefs und empfängt uns. Wir erfahren, dass wir sogar auf den Monolith hochfahren dürfen – eine schöne Überraschung. Wir müssen mit einem Guide gehen, den sie für uns holt. Und dann geht das Desaster los. Der Guide ist komplett betrunken und von seinem lallenden Englisch mit stark guyanischem Dialekt verstehen wir kein Wort. Anouk geht nach hinten, der Guide sitzt auf dem Beifahrersitz und dirigiert mit wagen Handbewegungen die Richtung mitten durch ein Feld voller Matsch. Wir fragen noch paar Mal, ob wir nicht besser den Spuren folgen sollen, aber der Guide beharrt auf seiner Richtung und so stecken wir prompt im Schlammfeld fest – innerhalb der ersten 5 Minuten unsrer Tour. Immerhin können wir nun das erste Mal für uns selbst die Seilwinde gebrauchen. Ja, nachdem wir unzählige andere Autos inklusive einem Schulbus in Kolumbien rausgezogen haben, bleiben wir das erste Mal auf der Reise selbst stecken – dank einem betrunkenen Guide. Da es so wenig Bäume gibt, brauchen wir sogar unser Stahlverlängerungsseil, über das wir in Cusco tagelang diskutiert haben, ob wir es nun tatsächlich noch kaufen sollen oder nicht. Nach 2 Anläufen kommen wir frei und nach ein paar Irrwegen und Anläufen schaffen wir es auch den steinigen Monolith hoch – eine wirkliche 4×4 Herausforderung. Die Aussicht auf das unendliche Savannen-Panorama ist atemberaubend. Das Abenteuer und die Kosten für den Guide haben sich gelohnt. Der Guide führt uns noch ein wenig herum, zu einer Höhle mit Jaguarspuren, aber leider verstehen wir immer noch nur ca. 5%. Wir schaffen es auch heil wieder den Berg runter und fragen den Guide, ob es einen lokalen Drink gibt, den wir zum Sonnenuntergang geniessen können. Da blüht er auf und wir fahren zurück zur Mutter des Dorfchefs, verpassen den Sonnenuntergang um Sekunden und bekommen beide einen Plastikkessel voller cremigem Maniok-Wein in die Hände gedrückt. Die Frau können wir sehr gut verstehen und sie erzählt uns viel darüber, wie die Amerindians hier draussen leben. Da wir die ersten sind, die nach 3 Jahren auf diesem Berg waren, bekommen wir beide selbstgemachte Anhänger geschenkt. So kam nach Anfangsschwierigkeiten doch noch alles gut. Wir machen uns auf den Rückweg um im Nirgendwo der Savannah zu übernachten und in der Dunkelheit schaffen wir es tatsächlich erneut: Wir bleiben stecken, diesmal ohne Zutun eines betrunkenen Guides. So kommt die Seilwinde erneut zum Einsatz und wir finden bald einen Übernachtungsplatz in der Savannah. Am nächsten Tag geniessen wir ein Bad im Rupununi Fluss und fahren dann zurück nach Lethem.

Die BR-319 Strecke:

Encontro des Aguas:

Anavilhanas-Archipel:

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Gefahrene Kilometer seit Reisebeginn

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