Ein wunderbarer Fleck EU in Südamerika: Von Raketen, Guillotinen und Gastfreundlichkeit

Angekommen in Frankreich

So nehmen wir also die Fähre in die E.U.. Im Vergleich zur Fähre nach Suriname ist diese Fährüberquerung lächerlich einfach. Pass abstempeln lassen, Importpapiere abgeben und auf der andern Seite eine kurze Passkontrolle und die Fähre bezahlen (in Euros!) und fertig. Da wir in die EU reisen brauchen wir weder Stempel im Pass, noch extra Versicherung, noch Temporärimportpapiere fürs Auto. Die Grenzbeamten, Entsandte aus Paris, sind extrem freundlich und geben uns gleich noch ein paar Tipps für French Guiana auf den Weg. Ungewöhnlich ist es für uns nur französisch zu sprechen – Durch das Spanisch und Portugiesisch ist unser Gehirn so verwirrt, dass ein einziges Wirrwarr an Sprachgemisch aus unserem Mund kommt, welches gar kein Sinn ergibt in irgendeiner Sprache.
Im Gegensatz zu den anderen beiden Guyanas ist French Guiana nicht unabhängig, sondern ein vollständiger Teil von Frankreich (d.h. es ist auch nicht ein semi-autonomer Mix wie gewisse Inselstaaten z.B. French Polynesia). Der Einfluss von Frankreich ist trotzdem grösser als wir erwartet haben. Viele Beamte kommen aus Paris. Man findet hier Läden wie Conforama, Super U, Carrefour, InterSport – Ketten, die wir seit Europa nicht mehr gesehen haben. Jeder zweite Fussgänger hat ein Baguette im Arm und überall findet man leckere Croissants oder Pain au Chocolats. Regeln werden hier strikter umgesetzt, es gibt sogar Radare und Raphi muss sich wieder dran gewöhnen sich an die offiziellen Verkehrsregeln zu halten (bei den chaotischen Verkehrszuständen in Lateinamerika bleibt einem manchmal nichts anderes übrig als diesbezüglich ein wenig nachlässig zu werden). Das erste Mal in Lateinamerika ist hier auch jedes Klo an eine Kanalisation angeschlossen. Sonst ist das nur in Metropolen in gehobeneren Geschäften der Fall. Das heisst, Toilettenpapier muss sonst stets in den Abfall geworfen statt runtergespült werden. Es gibt durchaus Unabhängigkeitsbewegungen, aber das letzte Referendum zu mehr Autonomie 2010 wurde von 70% der Bevölkerung abgelehnt. Mit unserem einheimischen Gastgeber reden wir später darüber. Er und wohl einige andere auch fänden eine Unabhängigkeit gravierend. French Guyana ist sehr reich, wohl das Gebiet mit den höchsten Löhnen in Südamerika. Die Menschen profitieren vom gleichen gut ausgebauten Sozialsystem wie in Frankreich. Die Hochschulen haben zwar eine mittelmässige Qualität, aber die Menschen haben einfachen Zugang zu den Hochschulen im „Festland“ Frankreich. Einer der grössten Arbeitgeber ist das Guiana Space Center / der European Spaceport, welcher wohl verlegt werden würde, wenn das Gebiet nicht mehr zur E.U. gehört. Ansonsten gibt es in French Guiana keine grosse Industrie oder Ressourcen, ausser Gold, wobei vom Gold vor allem die ausländischen Investoren profitieren und nicht die Bevölkerung. Im Falle der Unabhängigkeit befürchten deswegen manche, dass French Guyana sich in eine ähnliche Richtung bewegen würde wie Guyana und Suriname – mit Problemen wie stärkerer Armut, Korruption, Abwertung der Währung, schlechten Sozialsystemen.

Transportation Camp in Saint-Laurent du Maroni

Die Infrastruktur für Touristen ist besser ausgebaut als in den anderen Guyanas. Wir finden sogar schon in der Grenzstadt Saint-Laurant-du-Maroni eine Touristeninformation. Wir treffen auch auf bisschen mehr Touristen, aber analog zu den Holländern in Suriname treffen wir hier nur Franzosen.
Als erstes besuchen wir den Transportation Camp. French Guiana war das Australien Frankreichs: Als Strafkolonie bezeichnet, entsandten die Franzosen dahin einen grossen Teil ihrer Häftlinge. Das Transportation Camp ist eines der Gefängnisse aus dieser Zeit, in welchem die Gefangenen zugleich auch sortiert wurden und gegebenenfalls in ein anderes Gefängnis (z.B. auf den Îles du Salut) geschickt wurden. Von 1853 bis 1952 wurden hier ca. 70’000 Häftlinge untergebracht, darunter Schwerverbrecher, politische Gefangene oder Wiederholungstäter auch von leichten Verbrechen. Wenn sie ihre Haftstrafe abgesessen haben, mussten sie noch mindestens die selbe Zeit wie die Dauer der Haftstrafe in French Guiana verbringen. Danach konnten sie zurück nach Frankreich, mussten aber den Transport selber bezahlen, was sich natürlich so gut wie niemand leisten konnte.
Wir werden durch das riesige Anwesen geführt. Es ist schrecklich wie diese Häftlinge auf engem Raum hausten, zum Teil gequält durch Gestank, Hitze, Schmutz, Krankheiten. Vor Ort gab es 2 Guillotinen, mit welchen die Todesstrafe vollzogen wurde. Die Kratzereien der Häftlinge sind noch gut zu sehen.

Chutes Voltaire

Nach einem Croissant, Baguette, Cordon Bleu, Raclette, Ovo Crunchy Cream – Schlemmer Einkauf im Super U machen wir uns wieder auf den Weg abseits der Hauptstrassen. Wie die anderen beiden Guyanas gibt es in French Guyana nur eine Hauptstrasse und ein paar wenige unbefestigte Nebenstrassen während der Grossteil des Landes nicht per Strasse erreichbar ist. Im Gegensatz zu den anderen Guyanas gibt es jedoch deutlich mehr, was man auf eigene Faust erkundigen kann, was uns sehr freut. Der nette Zöllner hat uns die Chutes Voltaires empfohlen und so machen wir uns über die einsame rote Staubpiste, die wohl schon lange keinen anderen Autofahrer gesehen hat in den Dschungel. Obwohl die Gegend extrem verlassen ist, ist der Wanderweg in erstaunlich gutem Zustand – hier sieht man die europäische Gründlichkeit. Oft müssen ein Bach oder Gräben überquert werden. Hier werden nach südamerikanischer Art äussert kreative haarsträubende „Brücken“ bereitgestellt. Der europäische Einfluss äussert sich hingegen darin, dass akribisch vor jeder dieser Brücken ein Warnschild angebracht ist. Der Regenwald ist wunderschön an dieser Stelle und die Wanderung macht Spass, auch wenn wir keine Jaguare sehen. Die Chute Voltaire sind sehr erfrischend und anscheinend die längsten Wasserfälle von French Guyana. Raphi übt sich mit mässigem Erfolg im Gold suchen.
Nach dem Erlebnis fahren wir zurück in die Zivilisation und an den Strand um endlich wieder am Meer zu campen. In den Guyanas sind fast alle Strände nicht per Strasse zugänglich, und leider ist das Meer auch oftmals nicht sonderlich schön, da die vielen mündenden Flüsse viel Schlamm vom Regenwald mitschleppen. So auch an diesem Plage des Hattes, aber mal wieder am Strand zu stehen ist schön. Hier kommen auch Schildkröten zum Nisten hin, aber leider ist die Saison vorbei.

Îles du Salut

Früh stehen wir am nächsten Tag auf um nach Kourou zu fahren, wo wir eine Tour gebucht haben, um die îles du Salut zu besuchen. Es passiert etwa das Schlimmste was pingelig, pünktlichen Schweizern wie uns passieren kann: Das Handynetzwerk hat unseren Handys die falsche Zeit angegeben und so kommen wir eine Stunde zu spät. Mit den vielen Zeitzonen haben wir uns längst an Zeitverschiebungen gewöhnt und uns inzwischen zu 100% darauf verlassen, dass unsere Handys stets richtig umschalten. Der Captain und 30 französische Touristen warten auf uns. Zum Glück reagieren diese gelassener als es deutsche oder schweizerische Touristen oder Anouks wohl tun würden und so hält sich der Schmach in Grenzen. Mit dem Katamaran fahren wir 70 Minuten raus zu den Îles du Salut. Es handelt sich dabei um 3 Inseln, die Paradies und Hölle zugleich sind. Paradies, weil es traumhafte Inseln sind – voller Palmen, Äffchen und sonstigen Tierchen und von türkisblauem Meer umgeben, das zum Baden einlädt. Hölle aus historischen Gründen: Die Inseln haben zu Strafkolonie Zeiten eine zentrale Rolle als Gefängnisse gespielt. Umgeben von Gewässern, die von Haien nur so wimmeln, waren sie optimal, um die Gefangenen vom Fliehen abzuhalten.
Îles du Salut heisst soviel wie Inseln der Rettung. Sie wurden so genannt da im 17. Jahrhundert vor Strafkoloniezeiten eine Gruppe von Nonnen vor einer Epidemie auf dem Festland dahin flüchtete und somit überlebte. Zuerst dürfen wir die Île Royale erkunden. Dies war das administrative Zentrum der Gefängnisse mitsamt Spital, Kapelle und Leuchtturm und zugleich auch die Insel, wo die Todesstrafe-Häftlinge gefangen gehalten wurden. Nachdem wir uns an den süssen Äffchen, Meeresschildkröten und Agutis erfreut haben schauen wir uns die schrecklichen Ruinen aus dieser Zeit an. Danach geniessen wir wieder mal Kokosnüsse und gehen schwimmen. Wir werden dann auf die Île Saint-Joseph gefahren. Hier befanden sich die Einzelhaftzellen für Schwerverbrecher. Die Häftlinge wurden hier durch Isolierung und Sonne (manche Zellen hatten kein Dach) gefoltert. Um die Schreie der Häftlinge nicht mehr zu hören wurden jene die komplett durchdrehten in speziell designte schalldichte Zellen gesteckt. Auch diese Ruinen können wir besichtigen. Komplett mit Dschungel überwachsen herrscht eine düstere Stimmung. Die letzte Insel Île du Diable für politische Häftlinge lassen wir aus. Von dieser Insel aus hat es wohl der einzige Häftling es je geschafft zu fliehen: Nach 9 erfolglosen Versuchen konnte Henri Charrière mit einem selbstgebauten Boot aus Kokosnussschalen fliehen und seine Erlebnisse im Bestseller „Papillon“ wiedergeben.

Guiana Space Center / European Spaceport

Zurück in Kourou das Guiana Space Center, auch als der europäische Spaceport bekannt. Ja, der Spaceport von Europa befindet sich nicht in Europa, sondern in Südamerika auf einem kleinen Fleck französischem Territorium. Dafür gibt es 3 Gründe: In der Nähe des Äquators haben die Raketen am meisten Antrieb, da die Erde am schnellsten rotiert und damit den Slingshot Effects (Schleudereffekt) verstärkt. Weiter liegt French Guiana im Atlantik, womit die Antriebsraketen sicher ins Wasser fallen können. Drittens liegt French Guiana weder in einem Erbeben noch in einem Hurricane Risikogebiet. Das Space Center wird von drei Parteien mit unterschiedlichen Aufgaben gemanaget: Der ESA (European Space Agency), dem CNES (die französische Raumfahrtagentur) und Arianespace – eine Firma die Raketenstarte verkauft. Ja, neben den Raketen, die hier im Rahmen des europäischen Raumfahrtprogrammes gestartet werden, können auch Privatfirmen Raketenstarts veranlassen. So werden mehr als die Hälfte aller Telecom Satelliten von hier aus ins All geschickt. Neben 2 europäischen Raketensystemen Ariane und Vega gibt es das russische Soyuz im Angebot. Seit dem Krieg in der Ukraine hat Russland sein Programm hier jedoch auf Eis gelegt. In einer Diskussion mit spanischen Expats, die für das Space Center arbeiten erfahren wir, dass die EU das Budget für Raumfahrt zugunsten der Kriegsausgaben seit dem Ukraine-Krieg sehr eingeschränkt hat und so auch einige Jobs gestrichen werden. Leider findet während unserem Aufenthalt kein Raketenstart statt aber wir machen eine sehr interessante Tour durchs Gelände und zu den verschiedenen Launch Sites/Startrampen.

Gastfreundschaft in Cayenne

Danach fahren wir nach Cayenne, der Hauptstadt der Region French Guyana. Hier werden wir 2 Tage lang bei einer wunderbaren Familie verwöhnt. Der French-Guyaner Bertrand, seine Frau aus dem anderen Guyana und ihre beiden aufgeweckten Kinder sind wahnsinnig nett. Sie wollen selbst irgendwann mit dem Auto Südamerika bereisen. Wir dürfen bei ihnen im Hinterhof stehen, ihre Werkzeuge benutzen, Toilette und Dusche und sie versorgen uns die ganze Zeit mit exotischen Früchten und Eiern von ihren Hühnern. Wir dürfen die Kayaks ausleihen und damit vor die Inseln vor Cayenne paddeln Bertrand fährt uns und das Kayak sogar an die Bootrampe und wieder zurück. In der Nacht machen wir mit ihm, als ehemaligem Tourguide eine kleine Wanderung durch den Dschungel hinter dem Haus. Wir sehen zwar keine grossen Tiere aber auch was er über die Pflanzen, Insekten, kleinen Tiere und Skorpione zu erzählen weiss, ist unglaublich faszinierend. Am Samstagabend gibts einen super leckeren, von Bertrand gefangenen über 1 Meter grossen Red Snapper auf dem Grill. Weiter zeigt er uns den Samstagmarkt von Cayenne und lädt uns dort zur klassischen Nudelsuppe ein. Er gibt uns unzählige Tips auf den Weg. Alles komplett kostenlos und unsere starken Bemühungen mal was zu bezahlen oder die Familie einzuladen schlagen alle fehl. Unglaublich, diese Gastfreundschaft.
Interessant am Markt von Cayenne ist, dass er von den Hmong betrieben wird. Die Hmongs sind eine Bevölkerungsgruppe aus Südchina/Südostasien. Im indochinesischen Krieg haben sie an Seite der Franzosen gekämpft. In Laos wurden sie von der CIA instrumentalisiert, um im sogenannten „Secret War“ gegen die laotischen Kommunisten und die vietnamesische Vietcong zu kämpfen. „Secret“ also geheim, weil Laos offiziell neutral war und die USA damit nicht gegen die laotischen Kommunisten kämpfen durften, worauf sie die Hmong rekrutierten. Als in Laos die Kommunisten an die Macht kamen, mussten die laotischen Hmong, ob sie nun etwas mit dem Krieg zu tun hatten oder nicht fliehen. Ein kleiner Teil davon liess sich in Cacao, einem Dorf in der Nähe von Cayenne nieder. Dort mussten sie alles neu aufbauen, Strassen, Häuser, Schulen. Als sehr fleissige Bevölkerungsgruppe betrieben sie schnell die grössten Märkte von French Guiana – den berühmteren Sonntagsmarkt in Cacao, und jenen den wir besuchen, den Samstagsmarkt in Cayenne. Auch noch Jahrzehnte später ernten sie über 90% des Gemüse und der Früchte von French Guiana.
Nach Cayenne und der tollen Zeit mit Bertrand stocken wir im Carrefour unser Käse-Vorrat auf und machen uns auf zur brasilianischen Grenze. Wir fahren eine Staubpiste runter zu einer wunderschönen Stelle namens Saut Maripa am Grenzfluss zu einem der besten Stellplätze unsrer Reise: Schön, kostenlos, sicher, einsam, ohne Insekten, mit klarem Wasser zum baden und waschen und mit wunderschönem Vollmond, der auch noch bei Nacht zum Fischen einlädt.
Ein würdiger Abschied von unserem „Lieblings“-Guyana, das wir sehr gerne wieder mal besuchen würden, da es noch so viel auf eigene Faust zu erkunden gibt!

Die süssen Affen der Iles du Salut:

Gefahrene Kilometer seit Reisebeginn
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