Eine Irrfahrt durch die peruanischen Anden

Grenzschranke zwischen Peru und Ecuador

Am Montagmorgen überqueren wir die Grenze von Ecuador nach Peru. Wir haben uns für die kleinste und am schwersten zugängliche Grenze entschieden, da wir in Peru im Landesinneren weiterfahren möchten. Es war mal eine ganz neue Grenzerfahrung. Vor der Schranke halten wir an, bei den Hütten mit offenen Türen ist nichts angeschrieben und wir haben keine Ahnung wo wir hinmüssen. Ein freundlicher Mann in Shorts und Crocs schickt uns zu einer Hütte, wo eine Dame unseren Pass stempelt. Dann gehen wir zum Mann mit den Crocs zurück, der scheinbar für den Zoll arbeitet und dafür zuständig ist, dass unsere ecuadorianischen Temporärimportpapiere fürs Auto storniert werden. Im Nebenzimmer brutzelt sein Frühstück, es riecht lecker. Rein und raus laufen Hühner und Kleinkinder. Der Mann kann den Prozess nicht selbst erledigen, er muss unsere Papiere fotografieren und zur nächsten Grenze zum Prozessieren schicken. Dummerweise ist der Internetempfang schlecht und so läuft er nach seinem Frühstück den Arm mit dem Handy in der Hand ausgestreckt durchs Dorf damit hoffentlich irgendwo ein Internetsignal aufgenommen wird und die Dokumente verschickt werden. Irgendwann ist alles erledigt und wir verlassen Ecuador mit der bisher absurdesten aber einer sehr freundlichen Grenzerfahrung. Auf der peruanischen Seite geht es ein bisschen geregelter zu und her, die Beamten tragen sogar Uniform und nach wenigen Stunden ist alles erledigt. Dann müssen wir nur noch in die nächste Stadt fahren, um die obligatorische KFZ-Haftpflichtversicherung abzuschliessen. 

Unsere Irrfahrt durch die Anden

Die Panamericana und der bevorzugte Weg der meisten Reisenden führt eigentlich der Küste entlang, da es die schnellste Art ist in die Landesmitte zu kommen, wo es mehr zu sehen gibt. Wir haben aber gehört, dass die Küste im Norden Perus hässlich ist – karge Wüste mit viel Müll. Deswegen haben wir uns für die kleine Grenze im Landesinnern und den Weg über die Anden entschieden, um zu unserem ersten grösseren Ziel zu kommen, der Cordillera Blanca Bergkette. Was wir uns als nur kleinen Umweg ausgemalt haben (wir sind ja ein wenig unter Zeitdruck), entpuppt sich als reinste Odyssee.
Ganze 5 volle Fahrttage brauchen wir um die um 400-500 Kilometer Luftlinie entfernte Bergkette zu erreichen. Highlight davon war der Tag an dem wir 13 Stunden durchfuhren und etwa 150 Kilometer geschafft haben. Die Strassen sind teilweise sehr schlecht, so dass man kaum vorwärts kommt. Dass wir immer wieder über 4000-Meter – Pässe fahren müssen, macht uns auch nicht schneller. Die grösste Herausforderung ist aber, dass wir immer wieder auf wegen Erdrutschen, Baustellen oder sonstigen Gegebenheiten gesperrte Strassen stossen. Mehrmals mussten wir umdrehen, riesige Umwege fahren und manchmal wussten wir gar nicht mehr, welche Strasse wir noch versuchen können oder ob wir alles zurück bis fast zur Grenze und von dort an die Küste fahren müssen, um weiter in den Süden zu kommen. Wir kommen uns vor wie in einem Labyrinth. Einmal standen wir mitten im Nirgendwo plötzlich vor Schranken mit bewaffneten Wächtern – wie es sich herausstellt sind wir bei einer Goldmine gelandet. Das erste Mal lassen sie uns durch, nachdem sie unsere Daten aufgenommen haben. Bei der zweiten Mine müssen wir richtig lange diskutieren – der wegen uns überraschte Wächter (es verirrt sich sonst fast nie jemand hierhin) möchte uns den gesamten Weg zurückschicken. Schliesslich organisiert er uns eine Eskorte, die uns durch die Mine führt, damit wir die Strasse weiter entlang fahren können. Bis die Eskorte kommt dauert es aber eine Stunde und so kommen wir mit dem Wächter ins Gespräch und er erzählt von der Goldindustrie und beklagt sich, dass nicht die lokale Bevölkerung von den Minen profitiert, sondern nur die korrupten Politiker oder chinesischen Investoren. Irgendwann schaffen wir es durch die Mine und die Irrfahrt geht weiter.
Die ganze Zeit über ist dafür die Landschaft wunderschön. Man merkt, wir sind in Peru, wo die Kulissen grosses Kino bieten – hohe Berge, tiefe Schluchten, endlose Prärie, Wasserfälle, regenbogenfarbene Berge, Lamas. Anfangs fahren wir noch durch tropisches Amazonasgebiet mit heissen Temperaturen, Palmen, Bananenpflanzen und Reisfeldern. Später führen die Strassen in das Gebirge, die Anden. Hier sind wir wirklich Exoten, Touristen verirren sich hierhin keine. Die Dörfer sind indigen, die Menschen sehr klein und traditionell gekleidet – die Frauen mit bunten langen ausgestellten Röcken und hohen Hüten. Das Leben hier ist hart, man sieht gerade die älteren Menschen hier schuften und schleppen, Frauen stricken am Strassenrand. Der Ackerbau wird hier noch mit Ochsen betrieben, Traktoren sind weit und breit keine zu sehen. Das Getreide wird von Hand geerntet, in grossen Blachen zusammengetragen und danach mit einem LKW befahren oder von Pferden zusammengetrampelt damit sich das Getreide von der Pflanze löst. Die Menschen sind freundlich, aber viel zurückhaltender, als wir es zum Beispiel von Kolumbien kennen, wo uns jeder angequatscht hat. Alles ist komplett anders als wir es bisher von Zentral- und Südamerika kennen. Die Dörfer sind nicht mehr so hübsch bis kitschig hergerichtet, es ist alles viel einfacher und erscheint ärmer zu sein (dem Anschein nach mehr noch als zum Beispiel in Honduras, dem wohl ärmsten Land unsrer Reise). Es gibt weniger Geschäfte und Restaurants. Die ganze Woche sehen wir nie einen Supermarkt mit Kühlschrank, hier wird auf dem Markt eingekauft oder allenfalls in den paar verstaubten Miniläden. Während Kolumbien und grösstenteils auch Ecuador so sauber waren, liegt hier wieder überall Müll herum. Man könnte sagen Peru ist das Guatemala von Südamerika – Landschaftlich und kulturell mit absoluten Schätzen versehen, aufgrund dessen auch beliebt bei Touristen, aber gleichzeitig starker vorhandener Armut bei der Landbevölkerung und ein grosses Müllproblem. Die Häuser hier sind grösser als anderswo und nicht verputzt aber, praktisch auf jedem Haus sind gross Namen und Logo oder Wahlargumente von Kandidaten der nächsten Wahlen versehen (gemalt oder als Plakat). Es ist ganz extrem -sogar in der Natur in Canyons sehen wir die Schriftzüge. So sind die Häuser der Leute also Profilierungsplattformen der nächsten Generation korrupter Politiker. Andere Autos sehen wir kaum welche, mit zwei Ausnahmen: Die erste Ausnahme sind die Wahlkampfteams, die rumfahren und die Häuser anmalen. Die zweite Ausnahme sind die teuren Minentrucks und Treibstofflieferwagen, die die unzähligen riesigen Minen versorgen. Tatsächlich ist Peru der siebtgrösste Goldproduzent der Welt. Aber wie uns der Minenwächter bestätigt kommt das Geld nicht bei der lokalen Bevölkerung an. Einmal mehr ist wieder China grosser Investor und Profiteur. Dafür verschmutzen Schwermetalle und Chemikalien von den Minen die lokalen Gewässer und die Umwelt. So wirkt die Situation hier auf dem Land ein wenig abstrus: Die Bevölkerung kämpft ums Überleben, hat nur das Allernötigste zur Hand, während alle Fassaden voll bemalt sind mit (wahrscheinlich leeren) Versprechen von Politikern für die Wirtschaft, die Umwelt und gegen die Korruption. Als Krönung der abstrusen Situation werden Millionen an Dollar in Form von neuen Trucks, Treibstoff und Gold durch die Gegend gefahren im Zusammenhang mit der hier oftmals umweltschädlichen Minenindustrie.

Aber eben, ansonsten ist die Landschaft wunderschön, die Leute nett. Einmal halten wir bei einem Schild mit der Aufschrift „Queso“ an um Käse zu kaufen. Wir werden in ein Hüttchen geführt, hingesetzt und die süsse alte Frau serviert uns beiden einen Riesenblock frischen Käse, den sie mit Honig begiesst und den wir nun essen sollen. So haben wir uns das zwar nicht vorgestellt (wir wollten nur Käse für den Vorrat kaufen), aber es war auch nett und lecker. Ein anderes Mal landen wir abends in einem kleinen Andendorf, wo wir am Dorfplatz übernachten wollen. Kaum stehen wir da kommen zwei Zivilgarden und weichen nicht mehr vom Auto weg. Wir fragen ob wir übernachten dürfen – selbstverständlich und sie werden die ganze Nacht da sein und uns und den Platz bewachen. Wir können uns beim besten Willen nicht vorstellen, was in diesen unschuldigen Andendorf passieren soll, aber trotzdem wieder sehr sehr nett von den beiden. Lustigerweise treffen wir beim Abendessen in der wohl einzigen Kneipe des Dorfes einen ebenfalls mehr oder weniger „verirrten“ Holländer, ein Backpacker der sich per Anhalter fortbewegt und deswegen hier im Nirgendwo gelandet ist und verbringen mit ihn den Abend.

Neben diesen Erlebnissen schauen wir uns aber auch ein paar Sehenswürdigkeiten an. Wir machen eine Wanderung zum zweiteiligen Gocta- Wasserfall, dem mit 800 Metern je nach Quelle 3. -16. höchsten Wasserfall der Welt. Die Wanderung ist lange und anstrengend, der Wasserfall schön, aber aufgrund der Trockenzeit nicht so massiv.
Ein weiterer Stopp sind die Sarkophagen von Karajia. Die aus Schlamm, Holz und Stroh gebauten und bemalten 2.5 Meter hohen Figuren in den steilen Felswänden beinhalteten einst Mumien und Opfergaben, welche inzwischen von Räubern und Archäologen entfernt wurden. In diesen majestätischen Sarkophagen wurden nur die wichtigsten Personen begraben und wie bei den Schaffern – den Chachapoyen – üblich, wurden sie hoch und schwer zugänglich platziert, um sie zu würdigen und schützen. Vermutlich wurden sie im 15. Jahrhundert gebaut, kurz bevor das Chachapoya-Gebiet grösstenteils von den Incas erobert wurde. Ebenfalls aus der Prä-Inka-Zeit stammend besuchen wir die Ventanillas de Otuzco, eine Nekropolis (=Totenstadt). Es handelt sich dabei um 337 in Vulkangestein ausgehobene Nischen. Die Nekropolis wurde von der lokalen Cajamarca Bevölkerung wohl zwischen 300 v.Chr. bis 500 n.Chr. erbaut. In den Nischen befanden sich ganze Skelette oder Teilskelette sowie Opfergaben, aber da die Stätte so alt ist, sind nicht viele Details bekannt.
Kurz vor dem Ziel unsrer Irrfahrt fahren wir durch die Schlucht Cañon del Pato, wo die beiden Bergketten Cordillera Blanca und Cordillera Negra aufeinandertreffen und sich fast berühren. Die aufregende Strasse wurde direkt in den Hang gebaut und dafür auf einer Länge von 12 Kilometern 35 unbeleuchtete Tunnels von Hand in die Felswand gehauen. Da sie so schmal ist und der Verkehr in beide Richtungen läuft, muss man schön aufpassen und immer hupen, um sich dem Gegenverkehr anzukünden.

Cordillera Blanca mit der Laguna Paron

Und damit kommen wir endlich in Caraz und Huaraz an, den Ausgangsstädten für die Cordillera Blanca Bergkette mit dem Huascarán National Park. Nachdem wir einen Abend an der wunderschön blauen Laguna Páron campen, ein Feuer und den Sternenhimmel geniessen besuchen wir die beiden Städte. Wir müssen endlich mal einkaufen, Geld abheben und für einen Mehrtagestrek Ausrüstung kaufen und mieten, sowie die Karte ausdrucken lassen. Auch unseren Laptop müssen wir reparieren – das Wifi funktioniert nicht mehr. Im Laptop-Reparaturgeschäft hat niemand Lust dazu, die Angestellten oder Inhaber sind mit Computergames beschäftigt, Geschäftssinn und Hilfsbereitschaft ist nicht so präsent. Schliesslich überreden wir das Geschäft, dass wir unseren Laptop ans LAN Kabel anschliessen dürfen. Nach verschiedenen Versuchen und Neuinstallationen schaffen wir es den Laptop wieder wie gewohnt zum laufen zu bringen. Wir haben also tatsächlich im Computer-Reparaturgeschäft unseren Laptop selber repariert – das kann auch nur hier passieren. Sie hätten wahrscheinlich nicht mal Geld verlangt, aber wir haben natürlich was da gelassen.
So haben wir die wichtigsten Sachen noch organisieren können bevor wir am nächsten Tag unserem ersten 3-Tagestrek antreten, aber dazu mehr nächste Woche.

Eine Zusammenfassung einer typischen Fahrtages in den nördlichen peruanischen Anden:

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Gefahrene Kilometer seit Reisebeginn

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